Das TITK, Thüringisches Institut für Textil- und Kunststoff-Forschung e. V. in Rudolstadt, dringt beim Textilrecycling in völlig neue Sphären vor. Auf der Weltausstellung in Japan präsentierte das Thüringer Forschungsinstitut jetzt ein Poloshirt aus einer dreifach recycelten Cellulosefaser. Mit der revolutionären LyoHemp®-Faser ist eine dreimalige Wiederverwertung ohne Qualitätsverlust möglich. Warum echte Nachhaltigkeit aber mehr als nur Technologie braucht, erklärt der Leiter des TITK, Benjamin Redlingshöfer, im Interview mit textil+mode.
textil+mode: Sie kommen gerade von der Weltausstellung aus Osaka zurück, wo sich der deutsche Pavillon in diesem Jahr mit dem Thema Kreislaufwirtschaft beschäftigt. Mit welchen Eindrücken kommen Sie zurück aus Japan?
Benjamin Redlingshöfer: Kreislaufwirtschaft und Ressourcenschonung sind wichtige Themen in Japan und auf der EXPO in Osaka. Speziell im deutschen Pavillon dreht sich alles um eine Zukunft im Einklang mit unserer Umwelt und die Frage, wie wir unseren hohen Lebensstandard mit nachhaltigen Produkten und Lösungen verbinden können. Besonders beeindruckt hat mich aber auch die Motivation und der Ehrgeiz der japanischen Kolleginnen und Kollegen bei meinen Terminen vor Ort- von Osaka bis Takasaki. Vor allem die Lernbereitschaft und Aufgeschlossenheit gegenüber innovativen Ansätzen bei meinen vielen Gesprächen waren bemerkenswert. Auch wenn Japan derzeit wirtschaftlich schwierige Zeiten durchlebt, u. a. auch aufgrund einer schwachen Währung, wird optimistisch nach vorne gedacht und es herrscht ein hoher Gestaltungswille für die eigene Zukunft.
textil+mode: Sie haben eine Innovation aus Ihrem Forschungsinstitut unter dem Titel „300 Prozent Recycling“ vorgestellt. Was genau verbirgt sich dahinter und warum ist diese Innovation so bedeutend für die Textilbranche?
Benjamin Redlingshöfer: Der Slogan 300 Prozent im Zusammenhang mit Recycling soll ganz bewusst aufhorchen lassen. Gerade vor dem Hintergrund, dass bei den meisten Textilien aus Recyclingfasern nur 20-30 Prozent Altfasern zum Einsatz kommen. Bei unserem Projekt konnten wir zeigen, dass unsere besonders nachhaltigen LyoHemp® Fasern zu 100 Prozent recycelt werden können und das dreimal hintereinander – ohne signifikante Qualitätseinbußen. Dies liegt zum einen an der besonderen Beschaffenheit der Cellulose aus Hanfabfällen und dem besonders schonenden und nachhaltigen Lyocell Prozess, den wir speziell auf Recyclingfasern und Fasern mit hohen Additivbeladungen optimiert haben. Auf Basis unserer LyoHemp® Fasern in Kombination mit der hohen Recyclingfähigkeit werden die Grundlagen für regionale, geschlossene Wertschöpfungsketten in der Textilindustrie geschaffen. Gleichzeitig stehen uns genau hier noch große gemeinsame Anstrengungen bevor, um alle Akteure in der textilen Kette – vom landwirtschaftlichen Betrieb bis zum Markenartikler – für diese Prozesse zu begeistern und zu ertüchtigen. Hierzu muss es gelingen, ökologische und ökonomische Ziele in Einklang zu bringen. Viele idealistische Ansätze blenden diesen Aspekt aus, jedoch sind die wenigsten Menschen bereit dafür viel Geld auszugeben und womöglich noch Leistungseinbußen in Kauf zu nehmen.
textil+mode: Inwiefern unterscheidet sich das Konzept vom gängigen Downcycling?
Benjamin Redlingshöfer: Bei unserem Recyclingansatz für die LyoHemp®-Fasern sprechen wir von einem so genannten Fiber2Fiber Recycling, das heißt aus einer textilen Faser wird im Rahmen des Recyclingprozesses wieder eine textile Faser mit nahezu gleichen Eigenschaften wie bei der Virgin-Grade Faser hergestellt. Das anspruchsvolle Qualitätsniveau für den Einsatz in hochwertigen Textilprodukten bleibt also erhalten.
textil+mode: Lässt sich das Prinzip auch auf andere Faserarten übertragen?
Benjamin Redlingshöfer: Ja, dies ist auch eine zwingende Voraussetzung: Denn bei Textilien reden wir bekanntermaßen in der Regel immer von Mischtextilien aus cellulosischen Fasern, wie Baumwolle oder Lyocell und synthetischen Fasern, die durch Polyester dominiert werden. Daher sprechen wir auch von PolyCotton-Recycling. Im Rahmen unseres Innovationszentrums DICE in Rudolstadt forschen wir an beiden Stoffströmen. Also auch beim PET ist das Ziel ein F2F-Recycling, hier allerdings über einen grundlegend unterschiedlichen Aufbereitungsprozess. Für Baumwollfasern hingegen, die (noch) den Hauptanteil der hydrophilen Fasern in Bekleidungstextilien abbilden, ist unser Prozess wie wir ihn für die Lyohemp®-Fasern anwenden ebenfalls nutzbar.
textil+mode: Alle reden über Kreislaufwirtschaft. Wie wir von Ihnen gelernt haben – von Japan bis Europa. Was brauchen wir jetzt ganz konkret, um die Kreislaufwirtschaft bei uns ganz praktisch voranzubringen?
Benjamin Redlingshöfer: Bürokratieabbau ist eine wichtige Aufgabe. Ebenso eine Senkung der Energiekosten und Standortattraktivität für Fachkräfte, unabhängig ihrer Nationalität. Ebenso müssen wir uns aber auch an die „eigene Nase fassen“: Design for Recycling und positive Imagebildung für die Textilindustrie müssen wir aus den Reihen der Verbände, Unternehmen und Forschung aktiv mitgestalten. Dadurch ergeben sich dann auch neue wirtschaftliche Perspektiven für Investitionen und Arbeitsplätze. So erfordert eine vertikal integrierte Produktionsanlage für Lyocell-Fasern eine hohe dreistellige Millioneninvestition. Umso bedauerlicher, dass eines der führenden Startups im Bereich des Textilrecycling gerade bekanntgegeben hat, in Frankreich 500 Millionen Euro zu investieren – solche innovativen Unternehmen müssen wir auch für Deutschland gewinnen. Und noch etwas ist mir wichtig: So spannend diese neuen Technologien auch klingen, dürfen wir uns nicht allein darauf verlassen, dass technologische Lösungen uns vom verantwortungsvollen Umgang mit unseren Ressourcen freisprechen. Aus gutem Grund stehen bei der in der Kreislaufwirtschaft häufig genannten RRR-Regel noch zwei weitere R vor dem Recycling: Reduce und Reuse – auf Deutsch: weniger verbrauchen und mehr wiederverwenden. Nur in Kombination mit einem bewussteren Umgang mit unseren Rohstoffen werden wir einen signifikanten Beitrag zu einer praxistauglichen Nachhaltigkeit leisten können.
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